Damit die DDR keine Fußnote der Geschichte wird
Am 20. August 2021 nahm ich in Quedlinburg an einer Lesung von Hartmut König teil, die Mitglieder des Freidenker-Verbands (DFV) organisierten. Mit seinem Namen konnte ich zunächst nichts anfangen, mit seinen Liedern schon. Als Liedermacher, späterer FDJ- und SED-Funktionär trat er – als Pete Seeger ihm seine Gitarre lieh – bei der UNO Weltjugendversammlung in New York auf (1970); im eigenen Land polarisierte er mit seinen Liedtexten.
Als Mitbegründer des Oktoberklubs schrieb er unter anderem die Weltfestspiel-Hymne von 1973 „Wir sind überall“ und den damals kultigen Song „In der Mocca-Milch-Eisbar“ (1970 Im Text „ich zahl, sie zahlt“ ist ein kleiner Hauch von Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann enthalten). Auch das FDJ-Lied „Sag mir, wo du stehst!“ stammt aus seiner Feder sowie der Titelsong des DEFA-Klassikers „Heißer Sommer“ (Alles ist bei youtube vorhanden).
Doch nicht für eine künstlerische Laufbahn entscheid er sich, sondern für die Politik, studierte jedoch zunächst Journalistik. Nach seiner Dissertation und weiteren Stationen wie dem Internationalen Studentenbund in Prag wurde er 1976 FDJ-Kultursekretär und koordinierte später die Organisation der Konzerte an der Radrennbahn Weißensee, unter anderen mit Bruce Springsteen, Joe Cocker und Bryan Adams, mit. Bruno Apitz, Autor des Buchs „Nackt unter Wölfen“, war 1967 sein SED-Bürge und König wurde 1986 Mitglied des Zentralkomitees der SED, so daß er viel über die Abläufe in diesem Gremium zur Wendezeit berichten konnte.
Er, der 1947 geboren wurde, schoß wie ein Sputnik hoch, seine Karriere war berauschend. Als uneheliches Kind war das in der DDR durchaus möglich. Während es im biederen und dekadenten Wertewesten zur damaligen Zeit wohl kaum möglich gewesen wäre. König ist weder eitel noch abgehoben. Die Sozialisierung in der DDR spüre ich bei ihm deutlich, da er meistens vom “Wir“ spricht, selten mal das Wort “Ich“ gebraucht. Sowohl in der Lesung als auch im Buch spricht er Fehler in der DDR an und auch seine eigenen.
Zum Beispiel hätte er nicht gedacht, daß Katarina Witt, die mit Dieter Dehm auf seinen Vorschlag hin die legendären Konzerte in Berlin-Weißensee moderierte, ausgepfiffen wird. „Damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet, und das gab mir schon zu denken.“ Witt wurde vom Publikum nicht mit ihren großen Sporterfolgen als Eiskunstläuferin verknüpft, sondern mit ihren Westreisen. Hartmut König deutet das so, daß in der DDR etwas nicht stimmte. Er, der als Mitglied des Internationalen Studentenbundes und des Weltfriedensrates viele Länder sah, besaß Privilegien. „Mit dem Privileg Reisefreiheit habe ich nie geprahlt und gewußt, daß es – als Privileg – abgeschafft gehört.“ Die Kehrseite davon ist, so seine Worte, daß die DDR-Bürger bei einer offenen Grenze Valuta hätten bekommen müssen.
„Mit jahrzehntelangem Abstand scheint sich zu zeigen, wie nachhaltig die Singebewegung in vielen Ostbiografien als ein politischer und kultureller Orientierungspunkt gewirkt hat.“ Der Versuch jedoch, Kultur und Kunst zur Herausbildung eines sozialistischen Bewußtseins einzusetzen, hat der Argumentation von König zufolge zu wenig gegriffen. Kunst sollte unbedingt auch die Funktion haben, Politik zu hinterfragen und kritisch zu begleiten. Dies klappte in der DDR zu wenig, bemerkt er. Auch wurden die Debatten immer seltener, wie zum Beispiel diejenige, als sich die Redakteure der SED-Zeitung „Neue Deutschland“ für die – später zeitweise verbotene – Rockgruppe Renft einsetzten und diese zum eigenen Pressefest einluden.
Trotz des provokanten Lieds „Sonderzug nach Pankow“ von Udo Lindenberg hätte Erich Honecker König zufolge nichts gegen dessen Auftritt gehabt, der 1983 im Palast der DDR stattfand, und nahm sein Geschenk – eine Lederjacke – an. Den Antwortbrief schrieb König und schlug vor, ihm eine Schalmei zu schenken. Diese baute Lindenberg in ein Konzert ein. Mehr von dieser Lockerheit, wo dies möglich war, hätte der DDR-Führung sicher gut getan, so der Autor.
Hartmut König erzählt auf 560 Seiten sein Leben, das mit den politischen Ereignissen sehr eng verzahnt ist und so eine kleine informative Geschichte der DDR ergibt, insbesondere aus künstlerischer Perspektive. Schade, daß Widersprüche im Umgang mit Literatur und Malerei etwas unterbelichtet sind. Statt des Buchtitels „Warten wir die Zukunft ab“ würde ich vorziehen: „Samenkörner sähen, jedoch keine auf Beton“. Diesen Gedanken führt er ab Seite 408 ausführlich aus. Er jedoch signiert seine Autobiographie durchaus gern mit dem Wunsch: „Damit die DDR keine Fußnote der Geschichte wird.“
Sein Werk, an dem er sieben Jahre arbeitete, ist flüssig geschrieben und hat ein umfangreiches Personenregister, so daß es sich auch als ein Nachschlagewerk für diese Zeit und diese Themen nutzen läßt. Das Buch schrieb er zwar für DDR-Bürger, heutige Jugendliche aber sollten sich beim Lesen nicht scheuen, vereinzelt andere Quellen hinzuzuziehen, da ihnen solche Abkürzungen wie SMAD bestimmt nicht geläufig sind. Ich empfehle es gern, da es bei einem bewußten Lesen Möglichkeiten beim Aufbau des Sozialismus vermittelt, die auf ihre Umsetzung warten.
Stefan Otto
(„Warten wir die Zukunft ab“ von Hartmut König; neues Leben, 3. Auflage 2020, 24,99 Eu)