Deutscher Freidenker-Verband e.V., Landesverband Sachsen-Anhalt

Orla und Thüringen – zwei neue Namensdeutungen aus dem Keltischen

Witold Fischer, Jena

1.Namen und Sprachen

Um Namen richtig deuten zu können, ist es zunächst erforderlich, die Sprache zu bestimmen, aus der die Bezeichnung stammt. An der Saale verlief über vierhundert Jahre lang eine Grenze zwischen Slawen und Germanen. Dementsprechend erfolgt die Deutung von Ortsnamen in der Regel aus deren zwei Sprachen. Eine Ausnahme bildet Johann Karl Schauer mit seinem Aufsatz über „die richtige Ableitung und Erklärung des Ortsnamens Jena und der damit verwandten“,i wo er eine keltische Deutung vieler Ortsnamen vorschlägt. Das ist deshalb selten, weil die gängige Lehrmeinung davon ausgeht, die Kelten hätten sich zwar um 500 v.u.Z., zu Beginn der La-Tenè-Zeit, über den Kamm des Thüringer Waldes hinweg nach Altthüringen ausgebreitet, um 400 v.u.Z. aus welchem Grund auch immer aber wieder hinter jenen Kamm zurückgezogen und daher in unserem Gebiet keine Namen hinterlassen.ii Wie soll man sich das vorstellen? Warum sollten sie ihre im heutigen Sachsen-Anhalt und Thüringen gelegenen Siedlungen plötzlich verlassen haben? Im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle sind in der Eisenzeitabteilung keltische Fibeln und Gewandspangen sowie deren Nachbildungen durch Germanen ausgestellt. Konkret findet sich auch eine „Nachbildung“ aus Jena an der Unstrut. Um Mißverständnisse auszuschließen kontaktierte ich den verantwortlichen Archäologen Dr. Schwarz. Er verwies auf die von Archäologen als Naumburger Gruppe bezeichneten vorgeschichtlichen Bewohner, die Ptolemäus im zweiten Jahrhundert als „Teuriochaîmai“ verzeichnet. Jene Teurier seien ein stark keltisierter Germanenstamm gewesen und auch der Name sei keltisch. Dies erkläre die Übernahme keltischer Kulturtechniken an der Saale. Teurier könne im keltischen Sprachraum so etwas wie „die am Hange des Gebirges siedelnden“ geheißen haben. Schwarz verwies noch auf den Ort Theuern am Südhang des Thüringer Waldes. Mit meinen Worten: Der enge Kulturkontakt zu den Kelten blieb auch bis in die römische Eisenzeit bestehen und könnte also dafür sorgen, daß an der Saale keltische Namen benutzt wurden, so wie wir heute auf deutschen Territorium jede Menge englische oder englisch-sein-sollende Namensbildungen beobachten, selbst wenn es keine Kelten nördlich des Thüringer Waldes gegeben haben sollte.

Kommen in Altthüringen keltische Namen vor? Um diese Frage zu bejahen, sollen in diesem Aufsatz der Flußname Orla und der Landesname Thüringen aus dem schottisch-gälischen gedeutet werden. Matthias Springer, auf dessen Beitrag zur Konferenz über die Frühzeit der Thüringeriii ich hier aus Kapazitätsgründen hinsichtlich Quellen, Forschungsstand und Diskussion bestimmter Fragen Bezug nehme und verweisen muß, wird mich an dieser Stelle zurecht eines Zirkelschlusses bezichtigen. Doch ist meine Logik die: Namensdeutungen müssen auf die materielle Lebensweise derer passen, die die Namen schöpften. An der Qualität dieses Passens entscheidet sich, welche Deutung richtig ist. Die Aufgabe dieses Beitrages ist also, eine solche Interpretation in die Diskussion zu werfen. Denn nur was da ist, kann daraufhin überprüft werden, ob es paßt (oder zumindest besser als andere Varianten). Man kann es auch verwerfen.

Zunächst sei auf eine Reihe deutscher Namen an der Saale verwiesen, die sich daher unserer Sprache zuordnen lassen, weil sie ohne Schwierigkeiten verständlich sind: Von Jena flußaufwärts Rothenstein, Orlamünde (wenn der Flußname als gegeben angesehen wird), Rudol(f)stadt, Schwarza (wieder als Mündungsort des gleichnamigen Flusses), Saalfeld, Fischersdorf, aber auch flußabwärts Pforte (was aus dem Latein ins Deutsche drang) und Weißenfels.

Dann gibt es Ortsnamen, die am Suffix -itz als zumindest slawisch überformt zu erkennen sind: Obernitz läßt sich auf o(d)brana zurückführen, was Verteidigung heißt. Dementsprechend handelt es sich um einen Ort an der Schutzwehr, und in der Tat ist der Ort ein slawischer Brückenkopf auf der Saalewestseite oberhalb von Saalfeld gewesen. Man kann in gleicher Weise die Nachbarorte Weischwitz, Reschwitz und Breternitz ergänzen, saaleabwärts Kolkwitz, Pürschütz, Oelknitz, vielleicht Steudnitz. Doch auch Stöben dürfte ein slawischer Name sein: stub steht in dieser Sprache für so etwas wie Pfosten. Ebenso wie der Geraer Ortsteil Stublach an der Weißen Elster liegt es im Überschwemmungsgebiet des Flusses, so daß es sich empfiehlt, Häuser auf Holzstelzen zu bauen. Der Jenaer Ortsteil Zwätzen heißt wie das Geraer Zwötzen und weitere aus dem Slawischen übersetzt einfach „Blumen“. Man kann weder bestreiten, daß meine gerade gegebene Deutung der slawischen Namen umstritten ist, noch daß es in jedem Falle viele slawische Ortsnamen an der Saale gibt, östlich der Saale sowieso.

Und dann gibt es die dritte große Namensgruppe an der Saale, an der Interpretationen aus dem Germanischen und dem Slawischen sowie ihren Nachfolgesprachen mehr oder weniger gnadenlos scheitern. Nur erwähnt seien aus Platzmangel Jena, Kahla, Cospeda, Camsdorf, Camburg, Löbstedt, Lobeda, Halle und so weiter. (Die Rede ist hier nicht von den Suffixen -burg, -dorf oder -stedt u.ä., die in der Regel später angehängt wurden.) Als ich seinerzeit unter Zeitdruck erstmals den erwähnten Aufsatz Johann Karl Schauers las, der alle diese Namen, und zwar ebenfalls wenig überzeugend, aus dem Keltischen zu erklären versucht, war mir klar: Wenn sich nur ein Zehntel von ihnen sinnvoll aus dem Keltischen erklären ließe, wäre der Existenzbeweis für Namen aus dieser Sprache in unserem Raum geführt. Ich möchte mit dem Namen Orla anfangen, da sich die Sache hier m.E. am klarsten darstellt.

2.Orla

Zunächst die alternativen Interpretationen des Namens Orla: Heinz Rosenkranz schreibt in seinem Buch über die Ortsnamen des Bezirkes Gera:

Einige weitere alte Flußnamen könnten schon von den ersten germanischen Siedlern geprägt worden sein. Hier ist die Orla zu nennen, die vielleicht wie die Aare in der Schweiz zunächst *Arula hieß zur Wurzel or- ‚fließen’, dann aber von den Slawen umgedeutet wurde als *Orela ,Adlerfluß’ zu slawisch orel ,Adler’ und endlich von den Deutschen als ,Orla’ wieder übernommen wurde.“iv

Ich möchte zur slawischen Variante bedenken geben, daß sich ausgerechnet Vögel aller Art sehr schlecht lokalisieren lassen, was von ihnen abgeleitete topografische Bezeichnungen fraglich macht.

Keltisch ist „or“ das Gold (von lateinisch aurum), „-lag“ bzw. „-lagan“ bedeutet die Mulde oder Senke.v Demnach wäre die Orla die Goldsenke. In der Tat schließt die Orla in ihrem Oberlauf die Schichten des Zechsteins auf. Am Grunde des Zechsteinmeeres lagerten sich im Oberperm diejenigen Rohstoffe ab, die in der Vorgeschichte entscheidende Bedeutung besaßen: Kupfer, Salz, auch Gold. Noch heute ist der linke Nebenfluß der Saale, der oberhalb der Orla in diese einmündet, nämlich die Schwarza, der goldreichste Fluß Deutschlands. Man findet Gold auch in den Saaleschottern Jenas, die lediglich durch Umlagerung von weiter oben entstanden sind, also z.B. von der Orla. Die keltische Anwesenheit an Orla und Saale kann als gegeben angesehen werden: Der Rote Berg bei Saalfeld zeigt Spuren keltischer Eisenmetallurgie, der Name Kaulsdorf könnte sich auf den keltischen Stamm der Kaulen beziehen, auf dem Gelände des neuen Parkplatzes unterhalb der Leuchtenburg fand sich ein Brennofen aus der La-Tenè-Zeit, Namen wie Triptis sind uralt. Der Suffix -is läßt sich dabei aus dem Vorindogermanischen als „Wasser“ interpretieren, was aber hier viel zu weit ab führt. Ein indirekter Beweis für das Sich-Hinziehen keltischer Siedlung von Kaulsdorf über den Roten Berg über Kamsdorf und Krölpa bis zur Orla ist das Fehlen eindeutig nichtslawischer und nichtgermanischer Ortsnamen an der Saale zwischen Kaulsdorf und Krossen. Während sich an der Saale also öfter unklare Ortsnamen finden, die ich als keltisch mutmaße, fehlen solche genau in dem Saaleabschnitt, zu dem eine keltische Umgehungsroute besteht.

Niederkrossen wiederum ist bereits der Nachbarort von Orlamünde. Eine Senke ist das Tal der Orla sowieso. Man sollte auch die Lebensweise der Kelten bedenken: Während altdeutsche Ortsnamen oft Grundbesitzer bezeichnen (-leben = das Lehen) und die slawischen Ackerbauern sich an Vegetationsgruppen orientierten, waren für die Kelten Rohstoffe wichtig, insbesondere Salz, Metalle und Bernstein, weil sich diese Stoffe wegen ihrer Haltbarkeit für den Fernhandel zwischen der antiken Mittelmeerwelt und Germanien eigneten. Dieser Fernhandel lag nach der gegenwärtig dominierenden Auffassung der Prähistoriker etwa ein Jahrtausend lang in keltischer Hand. Kann auch der Name Orla soweit zurückgeführt werden?

3.Die Kelten und das Salz

Oben erwähnte ich, auf den Ort Theuern am Südhang des Thüringer Waldes und seine mutmaßlich Bedeutung „die am Hange des Gebirges siedelnden“ aufmerksam gemacht worden zu sein. Mir schien das eine zu sperrige und „Bergleute“ eine viel treffendere Bezeichnung zu sein. Auf was könnten diese Leute Bergbau betrieben haben? Da fiele mir vor allem das Salz ein.

Die Rolle des Salzes als Zahlungsmittel in der (Vor-)Geschichte wird m.E. unterschätzt. In den Worten Sold, Söldner und Soldat tritt es uns als solches entgegen. Es hat gegenüber Metallgeld große Vorteile. Man kann es durch Verkostung sofort auf Reinheit prüfen und gegebenenfalls von irgendwelchen Bittersalzen unterscheiden. Es hat als damals einziges Konservierungsmittel unmittelbaren Gebrauchswert. Salz kann man schnell und einfach in passende Mengen teilen, was bei Gold- und Silbermünzen schwierig ist. Problem: Salzhorte werden vom Wasser ausgewaschen, Metallhorte bleiben. Das trägt sicherlich zur Unterschätzung der Rolle des Salzes in der Vorgeschichte bei. Sprachwissenschaftlich kann „Geld“ genauso gut mit den „Kelten“ wie mit „Gold“ verwandt sein. Nun lebten die Teurier an der Salzbergbauzone schlechthin, nämlich an der sogenannten Finnestörung. Diese bildet noch heute eine Grenze, nämlich die der Bundesländer Thüringen und Sachsen/Anhalt, liegt also mitten in Altthüringen. Dort liegen Bad Sulza und Bad Kösen mit ihren Gradierwerken, aber auch Roßleben, Sondershausen, Bleicherode und Bischofferode, um nur die bedeutendsten Salzbergwerke zu nennen. Westlich der Saale bildet die Störung einen Höhenzug, eben die Finne, auch Schmücke, östlich der Saale taucht die Störung ins Unterirdische ab.

An dieser Stelle der Überlegung stellte ich die Hypothese auf, daß es sich bei den Teuriern von der Namensbedeutung her um Salzbergleute gehandelt habe.

4.Namen mit der Lautfolge d/t-r-n

Dazu beigetragen hat die Konsonanten-Abfolge d-r-n oder t-r-n.

(Für Leser, die sich wundern, warum Sprachwissenschaftler die Vokale ignorieren, sei Voltaires Spruch angeführt, der sagte, die Linguistik sei eine Wissenschaft, in der die Konsonanten nichts und die Vokale noch weniger gälten. Im Vorerzgebirge heißt es: Wo de Hasen Hosen heeßen, heeßen die Hosen Husen. Wie dem auch sei – die Wortbedeutung steckt in den Konsonanten, nicht in den Vokalen, weshalb die semitischen Sprachen die Vokale gar nicht aufschreiben.)

D-r-n-Orte strotzen in der Regel vor Salz. Beispiele: Zwischen Dornburg und Dorndorf liegen an der Saale die Sulzewiesen, es gibt Dorndörfer des weiteren genau auf der salzgefüllten Finnestörung, dem für den Salzabbau bekannten Werratal (Merkers) und im Salzlandkreis, nämlich gegenüber von Pömmelte an der Elbe. Bad Dürrenberg, ein wenig nördlich der Finnestörung gelegen, hat auch ein Gradierwerk. Thüringenhausen liegt wieder am Finnestörungssüdhang bei Sondershausen. Es gibt noch ein Dorndorf bei Heringen, Dornstedt bei Querfurt, Dornheim bei Arnstadt und weitere, wo ich bisher kein Salz gefunden habe, vor allem weil ich noch nicht danach suchen konnte. Mein Fokus liegt auf der mittleren Saale und dem Gebiet östlich davon bis zur Weißen Elster. Ich warne uns Namenskundler davor, unsere Interpretationen auf Gebiete auszudehnen, in denen wir nicht heimisch sind.

Näher an der Bezeichnung „Thüringen“ als die Lautkombination d-r-n ist natürlich die Lautkombination t-r-n. Sie tritt uns z.B. in der alten Schreibweise eines der Dorndörfer gegenüber, welches nach 830 Theodendorpf geschrieben wurde, in Dornaw (Torna) bei Gera, Turnow, heute Dorna geschrieben, südlich von Stadtroda, Turnowe, jetzt Tornau nördlich von Halle, Turnewen bei Tröglitz, jetzt Torna, Turnuuua, heute Tornau bei Hohenmölsen, dem schon erwähnten Theuern am Südhang des Thüringer Waldes und bei Teuchern (976 Ducharin) am Nordhang der besagten Finnestörung.vi Wie sich von selbst versteht, ist diese Aufzählung absolut unvollständig. Am interessantesten sind die beiden letztgenannten Orte: Theuern und Teuchern. Offenbar handelt es sich um dasselbe Wort. Warum man das ch in Teuchern genauso vernachlässigen kann wie das ck in im Wort „trocken“vii (wenn das Wasser verdampft ist, bleibt das Salz und der Kalk), erschließt sich, wenn man der Theorie von Heinrich Langenkamp folgt: Er macht darauf aufmerksam, daß schon am 1.8.976 Ducharin als Name des Gaues südlich von Weißenfels auftaucht und führt ihn auf das keltische tighearn zurück: „Durch vergleichende Sprachforschung hat Dr. Riecke festgestellt, daß der Name Teuchern höchstwahrscheinlich keltischen Ursprungs ist, denn im Keltischen bedeutet tighearn (spr. = teichern) ein Haus, einen Wohnsitz, tighearna einen Herrn, tighairon einen Waffenplatz.“viii Dieser keltische -gh-Laut kann, besonders im germanischen Sprachraum westlich der Saale, flüchten, wie bei Theuern, oder, besonders bei den Slawen östlich der Saale mit ihrer Vorliebe zu Zischlauten, zu einem solchen mutieren, wie bei Teuchern. Die Namensbedeutung der Orte wäre damit „die Herren“.

Nun wäre es zu schön, wenn wir damit die Herkunft des Namens Thüringen geklärt hätten. Wie wir gleich sehen werden, ist das nicht der Fall. Spaßeshalber sollten wir jedoch diese Variante kurz durchdenken.

5.Thüringen

Eine gängige Hypothese lautet: Das Thüringer Reich entstand um 400, als – wegen der spätantiken kleinen Eiszeit, der kältesten Phase des Holozänsix – die germanischen Stämme der Angeln und Warnen aus Skandinavien in wärmere Gefilde nach Süden flohen und sich gegen die Einheimischen durchsetzten. (Ohnehin beobachte ich die Tendenz einer stärkeren staatsbildenden Kraft bei Völkern, die in kaltem Klima leben, verglichen mit solchen aus der Wärme. Deshalb setzte sich in der Geschichte der Norden auf der Nordhalbkugel ziemlich flächendeckend gegen den Süden durch, angefangen bei Rom versus Karthago bis hin zur Kolonisierung Afrikas im 19.Jahrhundert.) Neuere Untersuchungen der DNS zeigen für das Gebiet Altthüringens einen geringeren germanischen Erbanteil als darum herum, deuten also auch darauf hin, daß die ursprüngliche Bevölkerung nichtgermanisch war.x Was war sie dann?

Matthias Springer weist nach, daß es keine (H)Ermunduren, deren Endung die Lautkombination d-r-n enthält, waren. Er faßt den Begriff Thüringen aber sehr eng und bezieht ihn nur auf das heutige Bundesland, nicht auf das altthüringer Reich im ganzen.xi Im sehenswerten Archäologiemuseum in Köthen tauchen die Hermunduren genau dort und dann (73 v.u.Z.) auf, wenn die Kelten am gleichen Ort zur gleichen Zeit verschwinden. Ich mache es mir einfach und sage: Hermunduren sind ein keltischer Stamm. Springer ortet die Ermunduren an der Donau und schwerpunktmäßig in Böhmen. Dort genau soll sich wiederum nach den vorherrschenden Theorien in der La-Tenè-Zeit das Siedlungszentrum der Kelten befunden haben. Zudem plädiere ich für unscharfes Hinsehen: Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, desto weniger Sprachen kommen vor, denn Ausdifferenzierung, auch von Sprachen, ist ein Merkmal der Höherentwicklung. Verschiedene Keltenstämme sollen somit dieselbe Sprache gesprochen haben. Mangels anderer Kandidaten favorisiere ich damit die Kelten als vorgermanische Einwohner Altthüringens. Die Ausführungen des Tacitus stehen damit nicht im Widerspruch, da von ihm bekannt ist, daß er Kelten und Germanen oft verwechselte. Logisch, denn erst trennten sich die romanischen Sprachen von den keltogermanischen, erst später trennten sich das Keltische und das Germanische voneinander ab. So, wie wir heute zwischen den verschiedenen slawischen Völkern eher das Gemeinsame als das Trennende sehen mögen, mag es auch Tacitus mit Kelten und Germanen ergangen sein.

Es gibt an dieser Stelle eine kleine Komplikation: Namen sind Fremdbezeichnungen. Sind sie es nicht, nennen wir diese Namen „Pseudonyme“, also falsche Namen. Das trifft auf Gegenstände zu (klar), einzelne Menschen (die bei Taufe oder Geburt den Namen von ihren Eltern erhalten), aber auch für Völker. Sich selbst bezeichnet man nämlich nicht mit einem Namen, sondern mit „ich“ oder „wir“, den eigenen Ort mit „hier“, „bei uns“ oder so. Nur Fremde schöpfen Namen, um sich zu orientieren. Daraus, daß die Lautfolge d-r-n oder t-r-n mit dem Salz korreliert, kann man schlußfolgern, daß diese tighearna viel mit Salz zu tun gehabt haben müssen. Weil tighearna aber ein keltischer Name wäre, kann er sich nur auf ein anderes Volk beziehen. Das wären dann Angeln und Warnen, die ja in der Tat das altthüringer Reich geschaffen und regiert haben sollen. Zum Zusammenhang von Salz, also Geld, und Herrschaft, denken wir an Carl Orffs Oper „Die Kluge“, wo es heißt: „Wer das Geld hat, hat die Macht, und wer die Macht hat, hat das Recht, und wer das Recht hat, beugt es auch, denn hinter allem steht Gewalt.“ Die D-/T-r-n-Orte wären damit die Siedlungen der Angeln und Warnen in der keltischen Sprache der Ureinwohner. Die Entstehungszeit dieser Namen wäre dann während der klimatisch bedingten Südwestwanderungswellen um 400 unserer Zeit.

Ist nun auch der Name Thüringen geklärt, sozusagen als Land der Thüringer, der – eingewanderten – Herren? Leider nein, sagt Wolfgang Haubrichs auf der besagten Konferenz über die Frühzeit der Thüringer.xii Denn, so führt er dort überzeugend aus, der Anlaut des Namen sei im Original ein „Þ“, was man wie das englische th zu sprechen habe. Im Germanischen wie auch im Slawischen gibt es sehr wohl den Lautwandel von Þ zu t oder d, aber nicht den umgekehrten Fall. Daß wir heute Türingen sagen, kann also durch die Gesetze der Sprachwissenschaft erklärt werden, aber aus keltisch tighearna kann kein Thüringen entstehen, jedenfalls nicht im Umfeld der deutschen und slawischen Sprache. Haben die Kelten selbst einen solchen Lautwandel vollzogen? Das Keltisch-Wörterbuch gibt die heutige Schreibweise wieder, in der vielleicht eine sehr alte Aussprache steckt, denn als isolierte Sprache entwickelt sich keltisch langsam. Wenn es aber keltisch den Wandel von Þ zu t- gäbe, und zwar nach dem Auftauchen des Thüringer-Namens in der Antike, z.B. bei Ptolemäus, könnte man tighearna und Thüringer gleichsetzen. Ich muß mangels Kenntnis die Frage einstweilen offen lassen. Das zweite Problem ist freilich die Datierung. Wenn erst während der Völkerwanderungszeit im 5.Jhd. n.Chr. der Name t-r-n entsteht, kann es nicht derselbe sein, den Ptolemäus berichtet. Doch es gibt schon vorher germanische Südwestwanderungen, z.B. gerade um den Wechsel von der Hallstatt- zur La-Tenè-Kultur. Dieser wird auf etwa 500 v.u.Z. angesetzt. Zu dieser Zeit bricht der keltische Fernhandel über die Alpen ab. Karl Peschel tappt hinsichtlich der Ursachen 1983 noch im Dunklen.xiii Inzwischen ist die Klimaforschung fortgeschritten. Wie wir heute wissen, kühlte sich das Klima von etwa 700 bis 300 v.u.Z. ständig ab. Die Überquerung der Alpen, von Massalia, heute Marseille, kommend, Rhone-aufwärts, danach Rhein-abwärts, scheiterte nun an der Vergletscherung. (Man beachte die Namensgleichheit von Rhone und Rhein!) Der Fernhandel war nunmehr gezwungen, die Alpen zu umgehen. Ich halte es nicht für Zufall, daß sich in jener Zeit der Siedlungsschwerpunkt des keltischen Gebietes von der heutigen Schweiz nach der Donau, die nämlich genau die Alpen umgeht, verlagert. Daß beim Aufeinandertreffen von Germanen und Kelten schon tausend Jahre vor der Entstehung des altthüringer Reiches die Germanen militärisch die Oberhand behielten und zu „Herren“ wurden, halte ich aus den oben angeführten Gründen für gegeben und eine Namensentstehung in dieser Zeit für möglich.

Wie dem auch sei: Die Deutung Thüringer = „die Herren“ ist nicht allzuweit von Haubrichs Interpretation Thüringer = „die Starken“ entfernt, was er als phonologisch, morphologisch und semantisch als gesichert dartut. Die Herren, sind das unter den damals obwaltenden Kampftechniken nicht die körperlich Starken?

iJ. K. Schauer: Über die richtige Ableitung und Erklärung des Ortsnamens Jena und der damit verwandten. Sprachwissenschaftlich entwickelt und dargestellt. Nebst geistlichen Liedern und Gedichten zur dreihundertjährigen Jubelfeier der Einweihung der Universität Jena, Weimar 1858, nachgedruckt in: Norbert Nail u. Joachim Göschel (Hrsg.): Über Jena. Das Rätsel eines Ortsnamens. Alte und neue Beiträge, hrsg. u. komm. v. Norbert Nail u. Joachim Göschel (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte, hrsg. v. Joachim Göschel i. V. m. Heinrich J. Dingeldein, Rudolf Freudenberg u. Dieter Stellmacher, Heft 104), Stuttgart 1999, S. 35―104.

iiDiese Lehrmeinung ist u.a. dargelegt beim führenden Keltenarchäologen der DDR. Karl Peschel: (VII.) Germanen und Kelten, in: Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. Ein Handbuch in zwei Bänden, hrsg. v. einem Autorenkollektiv unter Leitung von Bruno Krüger, Bd.I: Von den Anfängen bis zum 2.Jahrhundert unserer Zeitrechnung, Berlin 4.Aufl. 1983, S. 241―263.

iiiMatthias Springer: Zwischen (H)Ermunduren und Thüringern besteht kein Zusammenhang, in: Helmut Castritius, Dieter Geuenich u. Matthias Werner (Hrsg.): Die Frühzeit der Thüringer. Archäologie, Sprache, Geschichte (= Ergänzungsband zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, hrsg. v. Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer, Bd. 63), Berlin/New York 2009, S. 135―169.

ivHeinz Rosenkranz: Ortsnamen des Bezirkes Gera, hrsg. v. Kulturbund der Deutschen Demokratischen Republik, Kreissekretariat Greiz, Greiz 1982, S.10.

vBernhard Maier: Wörterbuch Schottisch-Gälisch—Deutsch/Deutsch—Schottisch-Gälisch, Hamburg 2011, S.135, 111. Warum ich dieses Wörterbuch verwende, werde ich hoffentlich in einer der nächsten Jahrbuchausgaben zu erläutern Gelegenheit haben.

viAlte Schreibweisen und urkundliche Erwähnungen aus: Jürgen K.Fischer: Mittelalter. Miteldeutschland. Ereignisse und Ortsnamen, Rehmsdorf/Elsteraue 2016, S. 138, 301, 332 , 231, 284, 186, 148. Dort finden sich die Quellenangaben und auch Deutungsansätze.

viiDen Hinweis darauf verdanke ich Johannes Kerstan.

viiiDie Geschichte der Stadt Teuchern und Umgegend, hrsg. im Auftrage der Stadt v. Heinrich Langenkamp, Teuchern 1942, S.19.

ixKyle Harper: Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches, München 2020, S. 36.

xWie Anmerkung 7.

xiWie Anmerkung 3.

xiiWolfgang Haubrichs: Der „Name“ der Thüringer, in: Helmut Castritius, Dieter Geuenich u. Matthias Werner (Hrsg.): Die Frühzeit der Thüringer. Archäologie, Sprache, Geschichte (= Ergänzungsband zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, hrsg. v. Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer, Bd. 63), Berlin/New York 2009, S. 83—102.

xiiiWie Anmerkung 2.

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