Die DDR-Elektromotoren drehten sich fast überall auf der Welt
Am 29. April stellte Wolfgang Beck sein Buch in Quedlinburg vor allem den Mitgliedern der Freidenker und des Rotfuchs vor und am 5. Mai in Wernigerode ins besondere seinen ehemaligen Mitarbeitern. Dieses Buch „Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft“ erschien dieses Jahr im Rahmen der Rohnstock Biografien. Wer ein differenziertes Bild von der DDR-Wirtschaft finden möchte, wird hier nicht enttäuscht.
In diesem Buch erzählt Beck, der sowohl der letzte Betriebsdirektor des VEB Elektromotorenwerk Wernigerode (ELMO) als auch 1984 der jüngste Direktor der DDR war, anhand vieler Beispiele von den Vor- und Nachteilen der Planwirtschaft und von dem wirtschaftlichen Ab- und Aufbruch nach 1990. Der Klappentext endet mit dem Worten: „Beck erlebte das Ende der Planwirtschaft mit und ist überzeugt: Auch die real existierende Marktwirtschaft wird sich bald überlebt haben.“
In der ELMO wurden Motoren „in einem Leistungsbereich von 5,5 bis 200 KW“ (S. 14) gebaut, die in allen Bereichen der DDR-Wirtschaft gebraucht wurden. Dieser Betrieb war damals einer der größten seiner Art in Europa und seine Produkte wurden in alle Teile der Welt geliefert (S. 27), in denen das Internationale Einheitensystem, das unter anderem auf dem Meter beruht, angewendet wurde. Damit konnte nicht in die Entwicklungsländer (wie Liberia, Myanmar und USA) geliefert werden, obwohl sich die US-Schauspielerin Jane Fonda ein dänisches Windrad zulegte, das einen sozialistischen Generator aus Wernigerode enthielt.
Wolfgang Beck beschreibt einige Mängel in der DDR: „Die Ausführungen Lenins zur Sicherung der Macht und zur Diktatur des Proletariats waren Grundpfeiler der DDR-Ideologie. Dabei übersehen viele, dass Lenin die Ware-Geld-Beziehung und die ökonomische Interessiertheit der Bevölkerung nutzen wollte [und] die Förderung der privaten Kleinproduktion befürwortete.“ (S. 15) Er schreibt weiter: „Einflussreiche Theoretiker … ,insbesondere Lenin, haben pluralistische Elemente in der gesellschaftlichen Entwicklung angemahnt. Danach hat in kritischen Zeiten eine sehr straffe Führung und in guten Zeiten eine demokratische Führung zu erfolgen. Dieses Wissen war den Entscheidungsträgern abhandengekommen.“ (S. 16)
Ein ganzes Kapitel, W wie Wodka, nehmen die freundschaftlichen Beziehungen, wie es damals hieß, zu den Betrieben im sozialistischen Lager ein. Dabei geht Beck auf die besonderen Beziehungen zu dem Elektromotorenwerk in Mohelnice in der ČSSR (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) und die engen Kontakte nach Jaroslawl in der UdSSR ein (S. 41-43). Dort wurden gegenseitig Erfahrungen in der Rationalisierung ausgetauscht, über gemeinsame Projekte im kapitalistischen Ausland schreibt er nichts.
Im Weiteren wird gefragt, wie sich das Buch von Beck einordnen lässt. Einer der wichtigsten Theoretiker des Postkolonialismus, Edward Said, erläutert die inszenierte Andersartigkeit. So werden die negativen Seiten der Menschen in den ehemaligen Kolonien im globalen Wertewesten tendenziell überbetont: Diese geheuchelte Andersartigkeit ist – vereinfacht gesprochen – eine Inszenierung eines Fremden, die als negative Projektionsfläche zur Reproduktion einer eigenen, positiv verstandenen Identität bzw. des eigenen Habitus herhalten muss (vgl. Aram Ziai).
Auch die DDR-Bürger werden heute als „Ostneger“ oder „Halbrussen“ beschrieben, obwohl dieses Wörter selbst nicht verwendet werden sollten. Nur können diese Bürger an jeder dritten Ecke im Namen des Rechtsstaats so behandelt werden (Tarifverträge, die Ostdeutsche deutlich benachteiligen, sind rechtsgültig). Für alle diejenigen, die die DDR nicht bewusst selbst erlebten, empfehlt der Rezensent, sich Diskussionspartner zu suchen, die sich im DDR-Alltag auskennen. So wurde zum Beispiel der Kupferdraht von 500 Strafgefangenen in die großen Statoren des etwa 3500 Beschäftige umfassenden Betriebes gewickelt. Es waren keine politischen Gefangenen. Dafür spricht auch, dass es in der DDR im letzten Jahrzehnt keine 90% politische gab, wie gern behauptet, auch keine 10%, sondern etwa um 4% (Egon Krenz 2022).
Die Meinung, dass im Knast nur Politische und in den DDR-Kinderheimen nur Kinder aus politischen Gründen saßen, ist verbreitet, was jedoch an den Haaren herbeigezogen ist. Gegen diese Inszenierung der Andersartigkeit lässt sich mit Argumenten kaum etwas entgegnen. Sie sitzt sehr tief, da sie damit verknüpft ist, dass “wir“ im Wertewesten die Guten sind und alle anderen die Unmenschen. Das Thema Sozialismus in der DDR lässt sich nicht schnell zwischen Tür und Angel erklären. Dazu leistet der Autor einiges, stößt aber auch an die heutigen politischen Grenzen der gut gepflegten Irrationalität. Mit dieser werfen die vielen moralisierenden Selbstgerechten im postkolonialen Zeitalter immer wieder gern um sich.
Im Untertitel steht provokativ: „Planwirtschaft – Marktwirtschaft – Bedarfswirtschaft“. Es werden 10 Thesen der Bedarfswirtschaft vorgestellt (S. 116-117), mit dem das Problem angerissen wird. So beinhaltet die These 7: „Ein nicht am Kommerz, sondern am Bedarf ausgerichtetes kostenloses Gesundheitssystem sichert Existenzen und ist jedem Mitglied der Gesellschaft zugänglich.“ (S. 117) Leider wird die Bedarfswirtschaft nicht theoretisch umrissen und auch nicht als eine Dialektik von Plan- und Marktwirtschaft vorgestellt, die dieser Wirtschaftsform eine strategische Tragweite und Tiefe geben würde. Die Hälfte des Buchs umfasst der Anhang, in dem viele interessante Beispiele von Dokumenten aus der Zeit festgehalten werden.
Die Herausgeberin Katrin Rohnstock wirbt mit dem wichtigen Gedanken: „Wenn wir nicht wissen, woher wir kommen, wissen wir nicht, wohin wir gehen“ (S. 268). Für alle, die den – auf Krieg und Konkurrenz basierenden – Kapitalismus nicht für das Ende der Geschichte halten, wünscht der Rezensent einen großen Leserkreis und viel Interesse, über die Vergangenheit zu diskutieren, damit die DDR keine Fußnote der Geschichte wird.
Differenzierte Sichtweisen über die ersten Gehversuche auf dem Weg zum Sozialismus werden heute immer wichtiger. Dazu leistet dieses Buch einen Beitrag aus der Sicht an der Basis. Von offizieller Seite (wie von bürgerlichen Universitäten, Instituten und Stiftungen) ist eine solche Arbeit nicht zu erwarten. In der ersten Lesung am 29. April waren sich die Zuhörer einig, dass es eine differenzierte Geschichte der DDR nicht gibt, aber unbedingt geschrieben werden sollte.
Stefan Otto
(„Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft“ von Wolfgang Beck, erste Auflage 270 Seiten, im THK-Verlag zum Preis von 19,90 €)