30 Monate Landesverband Sachsen/Anhalt
Jüngst, am 12.10.2015, konnte man im Feuilleton der jungen Welt wiederum lesen, das Land Sachsen/Anhalt sei 1945 künstlich geschaffen worden und habe keinen historischen Vorläufer. Das sieht das Standardwerk „Historische Stätten in Sachsen/Anhalt“ anders. Dort wird, vereinfacht ausgedrückt, gesagt, Sachsen/Anhalt sei der nördliche, nach 551 von den Sachsen besetzte Teil des alten Thüringer-Reiches. („Thüringen“ ist der von den Franken besetzte Teil.)
Die klassische Freidenkerbewegung in unserem Raum hatte sich mit dieser Epoche eher weniger befaßt. Einen großen Teil derjenigen, die sich im zum 1.Mai 2013 gegründeten Landesverband Sachsen/Anhalt des DFV zusammengefunden haben, eint allerdings, aus welchem Grunde auch immer, das Interesse für alte, Vor- und Frühgeschichte.
So war schon vor der Gründung des Landesverbandes als erster Referent der Liedermacher Reinhold Andert vorgesehen. Andert ist für Freidenker auch insofern ein interessanter Redner, als er aus der katholischen Kirche austrat und es schaffte, aus der SED ausgeschlossen zu werden. Für das genannte Thema qualifiziert ihn formal seine Ausbildung zum Historiker, real die Tatsache, daß er sich quasi zehn Jahre lang, während seines Auftrittsverbotes in den 1980er Jahren, mit der Geschichte des alten Thüringer-Reiches befaßt hat. Zu Unrecht hält er sich auf diesem Gebiet für ein kleines Licht. In Wahrheit verkörpert er den Urania-Gedanken in der reinsten Form: Statt für jedes andere Muster in gebranntem Ton noch eine neue archäologische Kultur zu postulieren und als Fachidiot den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, rekonstruiert Andert, natürlich unter intensiver Kenntnisnahme der neuesten fachwissenschaftlichen Publikationen, die Geschichte in ihrer ursprünglichen, nämlich erzählerischen Form für das gemeine Volk in einfacher und verständlicher Übersichtlichkeit.
So auch bei zwei Veranstaltungen des Freidenker-Landesverbandes Sachsen/Anhalt am 11. und 12.April 2014, die in den Quedlinburger Bücherfrühling eingebettet waren. (Der FREIDENKER berichtete bereits im Heft 3/2014.) Das war also der inhaltliche Start der Arbeit nach der Landesverbandsgründung.
Ihre Fortsetzung fand sie noch 2014 bei einem überörtlichen Freidenker-Stammtisch in Zeitz am 27. September zum Thema „Rußland und der Westen“. Anknüpfend an die Bundeskonferenz vom 6.9.2014 diskutierten die Anwesenden (aus dem Zeitzer Raum bis Jena und Halle) die Frage, ob das gegenwärtige Rußland ein imperialistischer bzw. kapitalistischer Staat sei. Das Spektrum der Auffassungen am Tisch war etwa so groß wie im gesamten Verband. Einigkeit wurde nicht erzielt, und daß dies nicht gelingen würde, war bekannt. Doch gerade solche Debatten bringen den Erkenntnisprozeß voran, nicht gegenseitiges Schulterklopfen.
Auch die jährliche Mitgliederversammlung des Jahres 2015 fand in Zeitz statt: Am 30.Mai erfolgte eine ausführliche, dreigeteilte Stadtführung, vom Dom über die Altstadt, durch „das unterirdische Zeitz“ bis hinauf auf Kloster Posa. Dort wurde der einheimische Wein verkostet und die Landesleitung komplettiert. Sieht hat nun folgendes Gesicht: Vorsitzender ist Thomas Loch (Quedlinburg), Stellvertreter Witold Fischer (Rehmsdorf), Schatzmeister Karl-Heinz Deuerling (Halle). Leider mußten auch einige Karteileichen bereits wieder gestrichen werden, so daß sich die Mitgliederdynamik des ersten Jahres leider nicht fortgesetzt hat.
Die Aktivitäten zeigen bereits, worin ein Problem in der Verbandsarbeit besteht: Die Mitglieder sind über eine große Fläche verstreut, praktisch über den ganzen DDR-Bezirk Halle. Nur in Quedlinburg und Zeitz gibt es kleine Zentren, die aber wiederum zur Bildung eigenständiger Ortsgruppen nicht ausreichen, wiewohl in Zeitz etwa monatlich kleine Freidenker-Stammtische stattfinden und die Freidenker in Quedlinburg durch Thomas Loch seit Jahren thematische Beiträge beim Bücherfrühling organisieren. Letzteres ist auch für 2016 wieder geplant, gekoppelt mit einer von mehreren für das Jahr vorgesehenen Mitgliederversammlungen. Auf einer davon wird der Vorschlag zu diskutieren sein, die bisherigen Landesverbände Niedersachsen und Sachsen/Anhalt zu einem Landesverband Alt-Sachsen zu formieren.
Witold Fischer